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Bilanz Anfang 2006

Schwierig! Schwierig anzufangen! Wo anfangen, wo aufhören? Am besten wohl im Jetzt!

Dominik und ich befinden uns seit Ende Oktober 2005 in der Schweiz. Wir sind vorübergehend in einem tollen und grossen Haus in der Stadt Zug einquartiert. Die Dame, der das Haus gehört ist gerade zu der Zeit, als wir auf der Suche nach einer Bleibe waren, für ein halbes Jahr nach Ägypten und hat uns ihr Zuhause grosszügigerweise für diese Zeit überlassen.

 

Hier eine Zusammenfassung der ersten zwei Wochen im Kantonsspital von Zug:
Am Freitag-Abend des 28. Oktobers 2005 zog ich also zu meiner Mamutschka nach Steinhausen und Dominik verbrachte die erste Nacht im Kantonsspital Zug. Zu unserer Verblüffung kam Dominik erst mal in Quarantäne. Kürzlich wurde in einem Spital in Genf multiresistente Stabilokokken festgestellt. Es wurden Vorsichtsmassnahmen wegen Patienten aus anderen, vor allem südlichen Spitälern, getroffen und das bedeutete für Dominik "Kontaktisolation" und keine Untersuchungen, die nicht notfallmässig begründet waren. Denn jeder Raum, jedes Instrument müsste danach wieder speziell gereinigt werden und wäre somit für eine Stunde oder so ausser Gefecht. Da aber eh Wochenende anstand, kam das nicht einmal so sehr darauf an. Denn an Wochenenden passieren in unseren Spitälern keine Untersuchungen, die nicht notfallmässig begründet sind. Aha! Immerhin, besuchen durfte ich ihn.

 

Am Sonntag Nachmittag hatte der stellvertretende Chefarzt dann die Gnade und entliess Dominik an die Sonne und in die Freiheit.


Am Montag wurde dann alles durchgecheckt und schon am Abend hatten wir die Bestätigung, dass die mazedonischen Ärzte sich leider nicht geirrt hatten. Dominik hat(te, denn mittlerweile ist er ihn losgeworden) einen Tumor im Dickdarm und breitflächige Metastasen auf der Leber, die nicht bestrahlt werden können. Für Freitagmorgen wurde die Operation festgelegt, bei der der Tumor entfernt werden würde. Der Chirurg machte Dominik klar, dass der Krebs in fortgeschrittenem Stadium sei und dass die Hoffnung auf Heilung gering wenn nicht gar aussichtslos sei! Vier Wochen später würde man dann eine Chemotherapie ansetzen. Er war sehr offen und machte uns keine grossen Hoffnungen. Dominiks Nachfrage, mit wie viel Zeit er denn rechnen dürfe, bzw. was die Statistik in so einem Fall sagt, wurde mit 2 Monaten bis 2 Jahren beantwortet.... (!!!!)

Die Tage dazwischen hatten wir "Urlaub". Das heisst, ich durfte Dominik am Dienstag morgen abholen und musste ihn am Donnerstag, 14 Uhr wieder "abliefern". Wir nutzten die Zeit, um die Diagnose anzunehmen, den ersten Schock zu verarbeiten und uns klar darüber zu werden, was das heisst und wie es weitergehen soll. Schliesslich haben wir hier in der Schweiz keine Wohnung! Und würden wir jemals wieder auf Reisen gehen können? Wir gewöhnten uns schnell an, in die Gegenwart zu kommen. Alle diese Fragen waren im Moment nicht beantwortbar.

 

Diese zwei Tage in der Innerschweiz waren wunderschön. Trotz der Krebs-Diagnose, die wie eine schwarze Wolke über unseren Köpfen hing, genossen wir die Zeit draussen im milden Herbstwetter mit viel Ruhe und viel Innigkeit. Irgendwie würde es weiter gehen. 

Die Operation verlief planmässig und Dominik erholte sich nun stetig und sehr gut von der Operation. Er hatte zwar viele Kilos verloren, aber er schaute gut aus und es ging ihm den Umständen entsprechend gut. Vom Krebs selber merkte er nichts. Auf's Wochenende hin wurde er entlassen.

 

Über meine Freundin Karin fanden wir in Zug eine tolle Wohnung in einem ruhigem Wohnquartier an bester Lage. Sobald wir eingezogen waren, ging es darum, zu entscheiden, wo und welche Krebstherapie Dominik für sich in Anspruch nehmen wollte. Er entschied sich nach einigen intensiven Abklärungen und Gesprächen mit den jeweiligen Ärzten für die Äskulapklinik in Brunnen. Die dortige Therapie beinhaltet nebst der eigentlichen Chemo ergänzende Therapieverfahren, die die Nebenwirkungen möglichst eingrenzen und die körpereigene Abwehr stärken sollen.

 

Dominik sagt immer, niemand weiss, wann sein Zeitplan abgelaufen ist, auch er weiss es nicht. Allerdings wird die Endlichkeit nun bewusster und die Qualität rückt stärker als je zuvor in den Vordergrund.

So, soweit die Vorgeschichte.

 

Die letzten fünf Monate und auch das Jetzt sind geprägt von Dominiks Krebstherapie und seiner damit einhergehenden Wandlung. Ich werde hier nicht sehr viel über ihn selber schreiben. Dafür gibt es ja seine eigene "Intim-Seite". Und wenn er soweit ist und es für nötig hält oder schlicht das Bedürfnis hat, darüber zu schreiben, wird er dies dort publizieren. Diese Bilanzen hier sind ja gedacht, um das Unterwex-Sein aus meiner ganz persönlichen Sicht zu beschreiben. Soviel aber zu seinem Zustand: Er ist in sehr guter körperlicher Verfassung. Ein CT (Computertomographie) von Ende Februar zeigt, dass die Metastasen am Absterben sind und der Tumormarker (Indikator im Blut) ist gesunken. Anfangs April wir ein neues CT gemacht und dann wird Dominik entscheiden, wie es therapeutisch mit ihm weitergehen soll. 

Nun also. Unterwex bin ich noch immer. Zwar im Moment ohne Wohnmobil und nicht in fernen südlichen Ecken, sondern unterwex zu mir und dem Jetzt. Das Schicksal wollte, dass ich mich seit letztem Sommer (mein Vater starb am 9. September 2005) vermehrt mit mir selber und den vergänglichen und fragilen Aspekten meines Lebens auseinandersetze. Und für einmal sollte als Kulisse und Spielgrund nicht südlicher Winter, blühende Orangen- und Mandelbäume, einsame verlassene Strände und neue entdeckungswürdige Landschaften im Aussen dienen, sondern die Schweiz im schönsten Winterkleid und mein Innerstes. Natürlich ist es nach wie vor eine Auseinandersetzung mit dem Unterwex-Sein, allerdings unter einem neuen bzw. bewussteren Stern. Auch wenn wir alle wissen, dass wir nicht ewig leben, so tritt dies Wissen doch recht heftig ins Bewusstsein, wenn man mit einer als unheilbar deklarierten Krankheit beim Partner konfrontiert wird.

 

Meine Formulierung zeigt schon, dass diesbezüglich bei mir ein Wandlungsprozess stattgefunden hat. Ich weiss von Krebskrankheiten immer noch nicht sehr viel. Aber etwas Essentielles habe ich herausgefunden. Jeder Mensch, der mit einer der vielen verschiedenen Formen von Krebs konfrontiert wird, ist und bleibt ein Einzelfall; ein Mensch mit Recht auf Hoffnung. Ein jeder, der erkrankt, hat seine ureigene Geschichte und muss seinen eigenen Weg durch und mit dieser Krankheit finden. Jede Statistik ist hier insofern fehl am Platz, denn sie begrenzt diesen eh schon schwierigen Weg unnötig. Klar haben die Ärzte den Auftrag, den "Patienten" mit diesen Informationen zu versorgen und das ist in Anbetracht der früheren Situationen, wo man den Patienten meinte zu schonen, indem man ihm die Wahrheit verheimlichte, verständlich. Die Situation heute ist aber vor allem so, dass man die Statistik für den Rahmen hält, der einem zur Verfügung steht und das ist falsch. Immer gibt es "Fälle", die den Rahmen sprengen und vielfach sind jene nicht einmal in einer Statistik festgehalten! Eines ist sicher: jeder der betroffen ist, braucht viel Hoffnung, Mut und Kraft, um diese Lebenssituation zu meistern. Und eine Statistik hilft da herzlich wenig, im Gegenteil. Sie nimmt einen unter Umständen die Motivation, die man bräuchte, um Krankheit auch als Chance wahrzunehmen!

 

Trotz dieses anfänglichen Blickes in die bodenlose Tiefe des kollektiven Krebs-Traumas fanden Dominik und ich die Kraft, uns auf unseren eigenen Weg zu machen. Vor allem war natürlich Dominik gefordert. Bei ihm galt es im Zusammenhang mit der Krankheit, sich selber neu zu hinterfragen, Altes loszulassen und Neues zu integrieren. Und damit ist er nach wie vor sehr beschäftigt. Viele Dinge in seinem Leben wurden bereinigt und sein Leben bekam einen neuen Grundton. Ich war in der ersten Zeit auf ganz andere Art und Weise gefordert. Die ersten Monate waren ausgefüllt mit Informationen einholen und Dominik den Rücken freihalten, um ihm die nötige Ruhe und Zeit zu verschaffen, die man in so einer Lage dringend braucht. Es dauerte seine Zeit, bis er sich wieder einigermassen körperlich fit fühlte. In dieser Zeit und auch heute noch nehme ich ihm möglichst viele Arbeiten ab. Er soll die Zeit nutzen, um sich mit sich selbst auseinander setzen zu können. Ich begleitete ihn zu allen wichtigen Terminen bei den Ärzten, diskutierte mit ihm auftauchende Fragen und versuchte möglichst, ihn im Entscheidungsprozess nicht zu beeinflussen. Und es gibt vieles zu entscheiden!

 

Schon von Anfang an, zeigte Dominik Interesse an der Esoterik. Wen wundert es! Wenn Welten auseinanderbrechen bekommt der Glaube neue Macht. Und jeder weiss oder benutzt wenigstens gerne das Sprichwort, dass der Glaube Berge versetzen kann, oder? Heute weiss ich, dass dies möglich ist. Da ich mich früher sehr intensiv damit auseinander gesetzt hatte, konnte ich ihm gute Bücher und andere geeignete Medien verschaffen. Auch bei mir fand eine Art "Revival" der Esoterik statt und nun war es besonders spannend, das was sich bei mir an esoterischem Wissen irgendwie und vage gesetzt hatte, in neue und klarere Worte fassen zu können.

 

Die vergangenen Monate waren nun also geprägt vom Blick nach Innen. Eine Reise, ein Unterwex-Sein, nur diesmal eben nach Innen. Eine extrem intensive Zeit mit starken Bewusstwerdungsprozessen, mit viel Abschiednehmen und Loslassen, aber auch mit dem damit einhergehenden Gewinn!

 

Das schönste und beglückendste Ereignis war für mich unsere Hochzeit. Alle jene, die meine vorgängigen Bilanzen gelesen haben oder mich persönlich kennen, wissen, dass Dominik und ich uns nach der ersten gemeinsamen Reisen getrennt hatten, die zweite Reise eigentlich weder gemeinsam noch alleine unternahmen und auf der dritten Reise wieder richtig zusammen kamen. Die vierte Reise sollte uns nun nicht in die Türkei führen, sondern in den Ehehafen ;-)). Dass mir Dominik einen Heiratsantrag gemacht hat, verstehe ich heute als seinen ersten grossen Schritt in die Freiheit. Auch wenn die Heirat bei manchen und wohl auch lange bei Dominik immer noch wie eine Art Gefängnis verstanden wird, so ist sie gerade in der Geschichte Dominiks als ein befreiender Schritt von seiner Vergangenheit zu verstehen. Ich auf alle Fälle habe mich, nach anfänglichem Schrecken ;-) sehr darüber gefreut und geniesse diesen Zustand noch heute.


Übrigens gibt Heirat keine Garantie! Keine Garantie für die Liebe und keine Garantie für die Ewigkeit. Sie ist aber erstens ein einmalig wundervolles Fest, um die Zusammengehörigkeit zu feiern und zweitens eine feine Bande, an der gearbeitet werden will. Insofern ändert sich nichts am Zusammensein. Und trotzdem.... etwas ändert sich... allerdings kann ich ES nicht fassen und schon gar nicht in Worten ausdrücken. Aber ich bin nach wie vor glücklich, meinen Weg zusammen mit Dominik gehen zu dürfen.

 

Wie schon erwähnt, wissen wir alle, dass das Leben vergänglich ist. Seit kurzem ist mir aber sogar klar geworden, dass das Leben nur im Jetzt stattfindet! Und jedes sich ausdehnen auf der Zeitschiene ist illusorisch. Zeit ist eine Illusion! Alles, was wirklich ist und somit wirklich wertvoll, wirklich echt und wirklich wichtig, ist Jetzt und nicht Gestern oder Morgen. Natürlich habe ich eine Vergangenheit, die mich geprägt hat und eine Zukunft, die ich, wenn auch nur grob, trotzdem plane. Aber der Unterschied liegt darin, dass ich im Jetzt entscheide, ob ich als "Produkt" der Vergangenheit, also zum Beispiel im gleichen Stil/Muster wie immer, handle oder als Mensch, der frei und unabhängig von alten Schmerzen und Denkmustern im Hier und Jetzt entscheidet. Und ob ich den Weg in die Zukunft mit Freude und innerem Frieden plane und gehe oder mir mit ängstlichem Sicherheitsdenken und süchtigem "Irgendetwas-Hinterher-Rennen" verbaue. Vielleicht drücke ich mich nicht sehr klar aus. Ein Buch, das für mich quasi zur neuen Bibel wurde, prägt meine Einstellung und Sichtweise. Es heisst "Jetzt - Die Kraft der Gegenwart" und ist von Eckhart Tolle. Nur wenige Bücher haben mich sosehr fasziniert und mir echte "Hinweisschilder" gegeben wie dieses. Die Weisheit, die aus diesem Buch spricht wird mich noch eine Weile oder vielleicht auch eine lange Weile in Atem halten. Mittlerweile habe ich schon die eine oder andere Situation mit neuem Blick/Bewusstsein gemeistert und ich bin gespannt auf alle weiteren Aha-Erlebnisse.

 

Das "Verrückte" ist ja, dass die meisten, die oberflächlich von unserer Geschichte hören, denken, dass wir ein Riesenpech haben und bedauernswert sind. Aber all jene, die uns ein wenig besser kennen, wissen, dass wir soviel wie nie gelernt haben, dass wir noch nie soviel Genuss hatten, dass wir uns noch nie so nahe waren und dass wir das Leben noch nie so sehr geliebt haben wie Jetzt! Schon komisch, wenn da einer denkt, wir hätten eine traurige Geschichte! Meine Zeit seither ist voll von Leben, ist intensiv und bunt wie nie. Ich habe nichts verloren - nur gewonnen!

 

In wenigen Wochen werden wir aus dem Zuger Domizil ausziehen und uns kurzfristig bei meiner Mama eine Basis einrichten. Dominiks Therapie wird vorerst Ende März abgeschlossen sein. Anschliessend wird er eine Art Entgiftung vornehmen und dann werden wir, sobald das Wetter es zulässt, wieder mit dem Wohnmobil losziehen. Unsere Reisen werden uns vorerst nicht sehr weit weg führen, da Dominik noch regelmässige Nachkontrollen in der Schweiz durchführen lassen wird. Aber immerhin, wir werden wieder Unterwex-Sein. Was die weitere Zukunft sonst noch bringt, wird sich zeigen, wenn sie da ist. Ich werde sicherlich auch weiterhin Berichte und Bilanzen schreiben.