Es ist beinahe Mitternacht, Dominik schläft schon. Eine leere Seite auf meiner Page glotzt mich an und wartet darauf, dass sie mit Persönlichem ge- und erfüllt wird. Gar nicht so einfach, jeweils
Bilanz zu ziehen! Mein Blick schweift zurück zum Anfang meiner Reise, wieder hierher ins Jetzt und dann ein wenig in die Zukunft.
Seit zweieinhalb Jahren nun bin ich unterwex im Süden Europas. Habe einige Ecken kennen und das Leben als "Zigeuner" lieben gelernt. Nirgends fühle ich mich so sehr Zuhause wie in meinem Womo.
Egal, wo auch immer das auf dieser Kugel gerade ist. Immer noch ist es spannend, neue Gegenden zu erkunden, nicht zu wissen, wo man die nächste Nacht verbringt und was einem der Tag an sonstigen
Überraschungen bereithält. Das Unterwexsein bringt es mit sich, dass keine Routine entsteht. Ich meine, natürlich gibt es Routine im Handling des Womos. Z.B. das Verräumen und Einladen, bevor wir
losfahren, die Haushaltsführung (die grosse ;-)) an sich usw. Auch wird man routinierter, was z.B. die Stellplatzsuche anbelangt oder das Finden von Wasser und Internet-Points. Aber diese Dinge
sind manchmal immer noch ziemlich abenteuerlich und werden sie wohl auch bleiben. Das ist auch gut so.
Eine Brieffreundin hat mir kürzlich geschrieben, dass sie das Unterwexsein als Lebensaufgabe für längere Zeit recht ungewöhnlich findet. Daraufhin habe ich mich wieder einmal gefragt, ja, was ist
es denn überhaupt für mich. Was bedeutet für mich Reisen eigentlich!? Ich habe ihr ungefähr folgendes geschrieben:
Reisen an sich verstehe ich als Prozess. Bei Langzeitreisen, wie ich es betreibe dauert der Prozess an. Vielleicht hat man nach zehn Jahren oder so ein festeres Bild, aber im Moment ist es immer
noch stark wandelbar. Mir scheinen die Monate wie Wochen oder Tage. Und in jedem Land wirkt es wieder anders. Abhängigkeiten von Wetter und Stellplatzmöglichkeiten (=Lebensmöglichkeiten) fordern
einen immer wieder auf's Neue.
Auch wandeln sich die Bedürfnisse. Z.B. war ich anfänglich mehr noch auf's Entdecken eines Landes anhand der bekannten Sehenswürdigkeiten aus. Die klingenden Namen der Grossstädte zogen mich
magisch an. Heute meide ich diese Zentren und suche dafür in Dörfern die spezielle Ecke oder jene versteckte Kapelle.
Mittlerweile reisen wir von Fluggebiet zu Fluggebiet, halten uns längere Zeit an einem Ort auf und erkunden die Gegend auf Wanderungen und langen Spaziergängen. Menschen kennen zu lernen ist viel
leichter möglich, wenn man z.B. die Fliegerei als gemeinsame Basis hat und wenn man längere Zeit am selben Ort bleibt. Meist sind die Fluggebiete von der Natur her wundervolle Gegenden und auch
die Stellplätze mit viel Freiheit verbunden. Ganz anders, wenn man an touristische Orte kommt, wo man nicht nur selber voller Vorurteile und Klischees ist sondern die Einheimischen manchmal
ebenfalls!
Aber das musste ich erst lernen. Anfänglich habe ich mich nämlich gegen diesen "neuen" Reisestil gewehrt. Jetzt aber sehe ich die Qualitäten einer an sich "no-name"-ecke und kann darum
verzichten, die klassischen Besucher-Orte gesehen zu haben. Ich muss auch nicht mehr alles sehen. Mir gefällt es vor allem an jenen Orten, wo ich viel Natur um mich herum habe und wo ich viele
Freiheiten geniessen kann. Z.B. nackt bei Sonnenaufgang zu baden ist für mich der ganz spezielle Luxus. Oder wenn ich meinen Hund den ganzen Tag frei rumlaufen lassen kann, dann profitiere auch
ich von dieser Freiheit. Anschluss an ein Dorf zu haben ist ebenfalls etwas Besonders. Ab und zu treffen wir auf Gleichgesinnte. Seien das nun Leute, die ebenfalls Langzeitreisende sind oder
solche, die halt in ihrem begrenztem Urlaub mit wildem Campen und Fliegen ihr Leben geniessen.
Es macht eben einen rechten Unterschied aus, ob man Kurzzeitreisender ist oder Langzeitreisender. Es ist was anderes, ob man begrenzt Zeit hat oder unbegrenzt rumzigeunern kann. Manchmal habe ich
den Eindruck, dass "Urlauber" viel intensiver reisen. Da bekomme ich das Gefühl, wie wenn ich halt eher so in den Tag lebe. Was wohl auch stimmt. Denn ich habe ja nicht den Drang, möglichst viel
in einer bestimmten Zeit zu erleben oder gesehen zu haben. Aber an dieses Gefühl muss ich mich immer noch gewöhnen.
Reisen verändert. Ich habe mir eine andere Anspruchshaltung angewöhnt. Z.B. schrecken mich mittlerweile Konsumtempel total ab, empfinde es aber schon fast als ganz normal, dass ich mit dem Womo
immer im Grünen stehe. Ich kann z.B. auch auch nicht allerhand Zeugs kaufen und mit mir rumschleppen, weil es schlicht keinen Platz dafür hat! Dafür fühle ich mich sehr ballastfrei. Gefordert bin
ich dort, wo die Umstände irgendwie unpassend erscheinen. Z.B. wenn die Umgebung keine Wanderungen oder Spaziergänge zulässt, oder wenn viele andere auch und eng stehen. In Marokko waren wir eine
Zeit lang auf einem Platz, wo einige andere Langzeitreisende oder Winterflieher ebenfalls standen. Man hätte den ganzen Tag draussen sein und klönen können. Ich musste mir dort angewöhnen, mich
irgendwann während des Tages aus dem Zusammensein zu verabschieden, die Womotüre hinter mir zu schliessen und so ein oder zwei Stunden für mich alleine zu haben. Das brauche ich sozusagen für
mein Seelenwohl. Aber es brauchte einiges, bis ich mir das eingestanden habe.
Mein Leben ist ganz allgemein viel weniger fest geregelt als früher. Das Wetter bestimmt, ob ich draussen bin oder drin, ob ich schreibe, lese oder wandern gehe. Die Umgebung bestimmt, ob ich
baden gehen oder ein Dorf kennen lernen könnte. Die Winde bestimmen, ob geflogen wird oder nicht. Und vielfach bestimmt das Wetter unseren Rhythmus. Wir machen vielfach Strecke, wenn das Wetter
nicht so gut ist. Und wir bleiben, wenn es wettermässig stimmt. Diese Abhängigkeit vom Wetter wird logischerweise deutlicher, wenn das Wetter schlecht ist. Wenn das nun, wie in diesem Sommer der
Fall, mehrheitlich übel ist, dann wird auch das Reisen mühsamer.
Im Moment stimmt für mich mein Leben sehr. Ich möchte auf keinen Fall mit jemandem tauschen, der sesshaft ist. Aber irgendwo verspüre ich doch den Wunsch, irgendwann wieder einmal für längere
Zeit stationär zu sein. Ich träume z.B. immer mehr davon, einen Garten zu haben, träume davon, jeden Morgen den gleichen Spaziergang zu machen (staun!), träume davon, mit Freunden zusammen zu
sein, träume von einer kleinen Herberge im Süden und träume von einem Backofen (;-)). Aber dies sind wohlverstanden Träume, die ich nicht sogleich in die Realität umsetzen will, sondern Träume,
die ich noch eine Zeit lang hegen und pflegen will. Vermutlich wollen sie sowieso noch ein wenig reifen...
Als ich im Herbst erneut mit Dominik loszog, war noch recht unsicher, wie gut es mit uns klappen wird und ob überhaupt. Es scheint, dass wir beide seit unserer ersten Reise einiges dazugelernt
haben. Natürlich hilft auch die Tatsache, dass wir mit dem Womo ein Zuhause haben, in dem sich zu zweit komfortabler leben lässt. Vor allem, wenn das Wetter nicht mitspielt oder die Tage im
Winter so kurz sind, dass man halt gezwungenermassen viel mehr drinnen als draussen ist.
Das Reisen zu zweit finde ich immer noch sehr bereichernd. Auch wenn die Zeit, in der ich alleine unterwex war eine ganz besonders wertvolle Erfahrung war, so stimmt das Reisen zu zweit (oder
auch mehr!) doch eher für die lange Zeit. Der Austausch und das Teilen von Erlebnissen empfinde ich als wohltuend und ausgleichend. Auch wenn wir 365 Tage im Jahr 24 Stunden gemeinsam unterwex
sind, vieles miteinander tun, bleibt doch auch einiges, was jeder für sich unternimmt. Die Zeiten, in denen Dominik z.B. fliegt, geniesse ich immer sehr. Und er vermutlich umgekehrt ebenfalls
;-)). Trotzdem, es bleibt immer noch viel, was gemeinsam entschieden werden muss, weil wir ja immer beide davon betroffen sind. Manchmal ist das ganz schön anstrengend. Ich finde, dass wir das
eigentlich ganz gut meistern. Wir sind beide recht flexibel. Ohne diese Seite geht es aber auch gar nicht. Wichtig erscheint mir auch, dass jeder für sich, seine Bedürfnisse möglichst durchsetzen
kann. Er, wenn er fliegen will oder alleine losziehen - Ich, wenn ich alleine sein will und z.B. ungestört lesen oder schreiben will.
Wir frotzeln viel, haben unsere Necksprache und lassen einander mehr oder weniger die Macken, die wir haben. Alle bestandenen Abenteuer festigen unsere Beziehung und klären den Blick in die Welt.
Dominik hat seine Schwächen wie auch ich meine. Manchmal streiten wir darum und manchmal muss ein Frust halt abreagiert werden. Wenn z.B. Dominik nicht fliegen kann, obwohl andere am Fliegen
sind, dann kann er schon unfair werden. Aber das ist dann meist eine gute Gelegenheit, mal wieder so richtig zu streiten, was wir ja ansonsten nicht so tun. Ich werde dafür ungemütlich, wenn ich
auf Plätzen stehen muss, die mir eigentlich nicht gefallen oder wo ich Stress wegen dem Hund habe. Aber solche Situationen gehören dazu. Sie sind selten und somit auch nicht tragisch.
Ich glaube, es wird recht offensichtlich, dass für mich Reisen ein Wandeln ist. Kaum etwas ist fix, alles bleibt offen und ändert sich darum dauernd. "The only thing who stays the same is
change".