Seit dem 1. April bin ich ohne festen Wohnsitz, mehr oder weniger permanent unterwex, entdecke Länder und Orte, die ich vorher nur aus Büchern und TV kannte und habe sämtliche Freiheiten, die ich mir nur wünschen kann. Jeder Tag bringt unvorhergesehene Erlebnisse und Ereignisse. Seit Anfang September lebe ich im Wohnmobil. Seit 1. Oktober (drei Monaten) bin ich wieder auf Reisen und zwar diesmal mehr oder weniger alleine.
Drei Monate sind eigentlich keine lange Zeit... ...aber die Zeit vergeht viel langsamer, wenn man alleine ist. Zu zweit lebe ich eher in den Tag hinein, alleine bin ich mir viel mehr meines Selbst und meines Tuns bewusst. Die Zeit bleibt ungeteilt, bleibt mir allein... ...und so habe ich das Gefühl, enorm viel erlebt und gesehen zu haben in diesen letzten Wochen. Beinahe jeder Tag an einem anderen Ort und jeden Tag mit dem Womo unterwex.
Manchmal fühle ich mich ein wenig gejagt. Wenn das Wetter nicht gut ist, oder die Gegend sonst wie unfreundlich. Dann drängt es mich weiter, weiter. Der nächste Ort ist besser, vielleicht scheint dort die Sonne oder vielleicht ist dort der ideale Platz zum Sein. Je länger ich hingegen an einem Platz verweile, umso schwerer fällt es mir, wieder aufzubrechen. Es ist schön, eine Ecke zu kennen, ein paar Morgen dem gleichen Strand entlang zu gehen, die Sonne am gleichen Ort auf- oder untergehen zu sehen. Zwei oder mehr ungestörte Nächte versprechen noch mehr davon.
Reisen ist ein permanentes Ankommen und Weggehen, beständiges Abschiednehmen und beständiges Vorwärtsschauen. Gut, dass ich Tagebuch schreibe, so geht mein Blick auch immer wieder zurück. Manchmal sind es zuviel der Eindrücke. Ich kann sie kaum alle verarbeiten. Mit Schreiben erhalte ich wieder Distanz und das eine und andere fällt mir wieder ein, wenn ich meinen Tag in Gedanken durchgehe, mit dem Bemühen, ihn in Worten festzuhalten.
Eine lange Reise bedeutet aber vor allem Prozess. Ein ganz spezieller, so denke ich, wenn man alleine reist. Ich merke das vor allem an Seiten, die ich an mir entdecke, die ich vorher von mir gewiesen hätte. Reist bzw. lebt man alleine, ist man komplett auf sich selbst zurückgeworfen. Nichts kann abgegeben werden, alles verlangt, selbst gelebt (und natürlich getan) zu werden. Ich merke erst jetzt, wie viel ich abgegeben habe, immer bereitwillig demjenigen, der das, was auch immer, besser und manchmal auch nur einfach schneller kann. Die Bequemlichkeit macht es möglich. Dann gibt es aber auch neue Seiten, die ich herzlich willkommen heisse. Vor allem das Gefühl der Selbständigkeit und der Stärke. Ich spüre mich überhaupt viel mehr. Es ist, wie wenn ich auf eigenem Grund und Boden stehe. Alles, was ich tue, tue ich für mich selbst und nur wegen mir selbst. Alles, was ich dafür bekomme, bekomme ich, weil ich es selbst erstrebte und so wollte. Das ist ein gutes Gefühl, es ist echt und direkt. Es ist, wie wenn ich selbst etwas erschaffe, und nur wenn ich etwas selbst erschaffe, ist es auch Mein, bin es ich. Dass es überhaupt ein kreativer Prozess ist, zu sein, spüre ich vor allem, wenn ich alleine bin.
Wenn man alleine loszieht, ist man anfänglich voll von Hoffnungen, Erwartungen, Wünschen, Ängsten, Fragen und wenigen Antworten. Das, was sich dann, im Laufe der Zeit und Reise abspielt, ist schwierig zu beschreiben und zusammenzufassen: Mehr und mehr habe ich das Gefühl, das Ruder wieder übernommen zu haben. Das heisst nicht, dass ich es im alltäglichen, in meinem Fall, vor allem beruflichen Leben abgegeben hätte. Aber es ist das Ruder für ein Leben nebst den beruflichen Herausforderungen. Es hat viel mehr mit einem Selbst zu tun. Nicht so sehr mit einer Rolle als Angestellte oder als Partnerin. Es ist das Ruder für mein Leben, meinen Kurs, meine Wünsche und Bedürfnisse nebst dem Leben als Arbeitende und Liebende. Und nicht selten frage ich mich, was denn da noch so bleibt... ... viel ist es nicht. Zu Anfang sehr wenig, erschreckend wenig. Dann aber wird es mehr, mehr und mehr. Und es füllt sich, bis man das Gefühl hat, es hat für Arbeit und Partnerschaft kaum mehr Platz. Na, ja. Das ist wohl übertrieben. Aber trotzdem, und das ist vermutlich ein ganz normaler Prozess, wenn man alleine lebt, gewöhnt man sich an die Freiheiten und diesen Reichtum und fragt sich, ob man davon wieder abgeben will, und wenn ja, wieviel...
Ab und zu hatte ich und werde sie wohl immer noch haben - nur im Moment gerade nicht - meine Krisen und Tiefs. Die erste war ziemlich erschütternd. Ich fragte mich, was ich hier (es war auf Sardinien) überhaupt mache. Ich sehnte mich nach Freunden, nach einem Partner, sogar nach beruflicher Herausforderung. Ich war alleine und auf mich gestellt. Keine Freunde, die mich wieder herausholten oder Arbeit, die mich ablenkte... Aber es ging wieder vorbei. Vielleicht weinte ich ein wenig oder sogar sehr. Am tiefsten Punkt aber, wenn ich ganz unten bin, dann schöpfe ich wieder Kraft. Vor allem aber besinne ich mich wieder auf mich selbst, auf meine Wünsche und meine Bedürfnisse und erkenne die entsprechenden Konsequenzen, die aus der Erfüllung jener entstehen, als notwendig und sogar heilsam. Immer komme ich wieder ganz ins Lot, wenn mich eine Krise durchgerüttelt hat. Nach der ersten grossen Krise folgten sicherlich noch andere, aber viel weniger heftige und an diese erinnere ich mich kaum im Einzelnen. Aber was ich spüre ist, dass ich langsam ein Einverständnis finde mit diesem Leben, dass ich hier führe.
Als ich im April loszog, war es eine Reise ins Unbekannte mit total offenem Ausgang. Alles lag drin und nichts war unmöglich. Im Sommer hingegen, als ich von Spanien zurückkehrte, kam mir vorerst als einzige Alternative zur ursprünglichen Reise Arbeit und Wohnung in den Sinn. Erst als ich wieder in der Schweiz war, merkte ich, dass ich losgelöst war und lösgelöst bleiben wollte. Ich war sozusagen noch nicht reif für die "Wiedereingliederung".
Erst jetzt erkenne ich auch, dass ich zu Anfang jemanden brauchte, der mich aus meiner Welt und meinem Alltagstrott hinaushebelte. Wäre Dominik nicht gewesen, wäre ich heute noch irgendwo in irgendeinem Job und am Überlegen, was ich eigentlich mit meinem Leben anstellen will. Und erst dann, als ich "draussen" war und mir überlegte, wie ich wieder "reinkam", merke ich, dass ich das gar nicht wieder wollte, wenigstens nicht so schnell.
Natürlich waren die Umstände schmerzvoll. Zuerst hatte ich tolle Ausblicke und jede Menge Hoffnungen, welche alle zerstört wurden. Dann raffte ich mich zusammen, um einen neuen Standpunkt zu bekommen, nur, um ihn innert kürzester Zeit wieder über den Haufen zu werfen. Im Endeffekt hatte das alles sein Gutes, weil ich realisierte, dass ich losgelöst bin, von Anfang an und es immer noch war! Genug lose, um etwas zu wagen, was ich sonst nicht gewagt hätte. Ehrlich, noch im Frühling hätte ich den Mut nicht aufgebracht, alleine loszuziehen, dazu mit einem halben Lastwagen. Doch unter diesen Umständen wurde mir klar, dass ich soviel Freiheit so schnell nicht wieder bekommen würde. Es war eine Herausforderung und eine Chance. Vorausgesetzt, ich würde mich von meinen Ängsten nicht unterkriegen lassen. Und da gab es einige Ängste zu bewältigen!
Da waren Ängste, alleine zu sein, alleine im fremden Land zu sein, alleine mit einem Wohnmobil zu hantieren und überhaupt ein Wohnmobil zu fahren! Dann, die finanzielle Belastung, welche zugegebenermassen reale Bedenken sind, aber nichtsdestotrotz kein Hinderungsgrund und vor allem eh schon geplant. Dazu kamen Ängste in Form von Selbstzweifeln. Schaffe ich das? Und was, wenn ich es nicht schaffe? Alles musste ich anschauen und durchleben. Ich lernte diese Ängste richtig kennen (und bin immer noch daran, sie kennenzulernen) und mich mit ihnen quasi anzufreunden. Loswerden konnte und kann ich sie nicht ganz und gar. Das Wohnmobil ist nach wie vor eine Herausforderung, die ich aber zum grössten Teil mit Stolz meistere. Die Ängste, was das Alleinsein anbelangt sind verschwunden. Wirklich. Ich habe sie nach und nach fast gänzlich abgelegt. Allerdings hat es viel mit Zorro zu tun. Er gibt mir das Gefühl nicht alleine zu sein. Und so, aber auch nur so, macht es mir kaum mehr etwas aus. Das heisst nicht, dass ich Gesprächspartner, Gesellschaft und meine Freunde und Familie nicht vermisse! Aber es plagt mich nicht, und wenn doch, dann habe ich ein Telefon. Es lässt sich also dealen. Das Alleinsein im fremden Land macht mir da manchmal schon eher Mühe. Zu Anfang vermutete ich sogar in jedem Auto, das bei mir in der Nähe anhielt potentielle Attentäter auf mich und mein Womo. Es verging viel Zeit, bis ich des Nachts nicht mehr jedem Geräusch nachhörte. Ab und zu, wenn ich an einsamen Plätzen stehe, dann habe ich immer noch mulmige Gefühle. Immer wieder halte ich mir realistische Argumente vor Augen, die mir sagen, dass mir keine echte Gefahr droht. Und doch kann mich z.B. ein Autolicht, dass direkt in mein Womo zündet ziemlich aus der Ruhe bringen. Meine Selbstzweifel haben sich eigentlich schon ganz am Anfang ziemlich aufgelöst. Nur schon, dass ich den Mut hatte, ein Wohnmobil zu kaufen, bestätigte mir, dass ich es schaffe. Die ersten paar Wochen im Wohnmobil in trauter Umgebung verhalfen mir auch zur positiven Erfahrung, was das Handling anbelangt. Und zu guter Letzt sagte ich mir, auch wenn ich nicht für lange unterwex bin, so habe ich es doch gewagt und besitze jetzt immerhin ein Vehikel, mit welchem ich meine Ferien verbringen konnte. So, ich muss, während ich das schreibe feststellen, dass ich alles in allem zufrieden mit der Bewältigung meiner Ängste bin. Ich bin sogar ziemlich stolz auf mich!
Und jetzt, wie fühle ich mich? Gut und ziemlich ausgeglichen. ich glaube, ich habe mein Alleinsein akzeptiert. Ich sehe es als eine Art Auszeit an. Eine Zeit, die ausserordentlich ist, ausserhalb der Norm und in grosser Freiheit. Was ich daraus mache, hängt alleine von mir ab. Ich kann diese Zeit möglichst schnell und irgendwie hinter mich bringen oder ich kann was daraus lernen und einen unvergesslichen Wert dazugewinnen.
Manchmal, wenn ich mich frage, was den so wertvoll daran ist, herumzutingeln, dann weiss ich es selbst nicht so genau. Was ich sicher weiss, ist, dass es schon sehr viel bedeutet, nicht in einer Zwangsjacke zu stecken und mehr zu müssen als zu wollen. Es ist die Freiheit, jeden Tag so zu verbringen, wie ich will. Es ist nicht so sehr das Reisen, sondern das Sein. Nun könnte man ja sagen, dass man das gerade ebenso gut auch zu Hause machen könnte. Einfach Sein, alles Wollen und nichts Müssen. Aber Tatsache ist, dass das Leben zu Hause, vor allem in Zug, teuer ist und dass damit das Wollen schnell zum Müssen wird. Hier lebe ich günstiger und bescheidener. Das Wollen konzentriert sich auf weniger materielle Dinge und so reicht es insgesamt für sehr viel länger..... und zudem in warmen, milden Gegenden mit Meer und Strand und südlicher Sonne. Und irgendwann, wahrscheinlich im nächsten Frühling oder Sommer werde ich wohl oder übel zurückkehren müssen, Job und Wohnung finden und wieder Geld verdienen. Doch bis dahin vergeht noch viel Zeit, die ich geniessen will.
Alles in allem bereue ich keinen einzigen Schritt, den ich in diesem Jahr getan habe. Angefangen mit der Kündigung der Wohnung und meines Jobs, der Reise mit Dominik, die neue Verantwortung gegenüber meinem Hund Zorro, der Kauf meines Wohnmobils und das erneute Losziehen in eine mehr oder weniger unbestimmte Welt und Zukunft.
Diese Überlegungen sind noch nicht fertig und werden der Zukunft Stand halten müssen. Ich werde noch viel erleben und mich entsprechend mit mir auseinandersetzen. Meine grösste Hoffnung besteht darin, dass ich möglichst viel von dem, was ich hier für mich lerne auch später umsetzen kann. Oder anders formuliert, dass ich hier als Reisende eine Lebenskultur oder Lebensphilosophie erarbeiten kann, die ich beibehalten kann. Somit ist das ein Wunsch nach dauerhafter Veränderung. Ich werde ihn auf das Zettelchen für den Weihnachtsmann setzen!